Auch in diesem Jahr wird der Beginn der Großen Fastenzeit überschattet von einer schweren Wolke, die sich über den Köpfen des Menschengeschlechts zusammenbraut. Da sind Kriege mit all ihren Gefolgschaften von menschlichen Tragödien, die sie hervorbringen, da ist die Umweltverschmutzung, da sind die Umstürze im Mittleren Osten, deren Umstände und Perspektiven sich noch nicht abzeichnen, die Ängste der armen Völker vor dem Abgrund, der Nord und Süd immer mehr trennt. Der normale Mensch, der wir sind, fühlt sich vor einem solchen apokalyptischen Scenario zerbrechlich wie eine Blume des Feldes. Er gehört zur großen Masse der Menschen und hat das Gefühl, dass alles über seinen Kopf hinweg manipuliert wird und dass seine eigene Vision überhaupt keinen Einfluss hat auf den Fortgang der Ereignisse. Unsere Schwachheit tritt dadurch einmal mehr hervor.
Doch der hl. Paulus sagt uns, dass gerade in der Schwachheit die Kraft liegt. Die Fastenzeit ist die privilegierte Zeit, uns unserer menschlichen Schwäche geistlich bewußt zu werden. Denn was haben wir Gott anzubieten, wenn nicht unsere Schwachheit - jene Sünde etwa, die uns bedrängt und die jeden Tag offensichtlich in uns und um uns herum am Werk ist und deren Existenz eine Realität ist. Christ zu sein, das heißt sich seiner Endlichkeit und seines sündigen Zustands bewußt zu sein, desjenigen eines Geschöpfes also, das in seinem Fleisch die Freiheit durchleben darf, zwischen dem Guten und Bösen wählen zu können, und zwar im Bewußtsein dessen, dass der Sieg über das Böse sich nur durch das Zusammenkommen des Wirkens Gottes und des Menschen ereignet. Doch unsere gemeinschaftliche Schuld ist groß. Und daher ist unser kirchliches Fasten so notwendig. Sich seiner individuellen Schwachheit bewußt werden wie der Zöllner: « Mein Gott, sei mir Sünder gnädig. », das ist die unabdingbare Voraussetzung für die kollektive Bewußtseinsbildung. Der Christ bedeutet der Welt durch sein Fasten, dass auch die legitimsten Wünsche ihre Grenzen haben. Das ist ein Aufruf und ein Weckruf, um die Einsamkeit, das Getrenntsein, die Ängste vor der Unsicherheit, den Wunsch, sich seinen Platz in der Gesellschaft zu sichern, die Angst vor dem Urteil der anderen und den Wunsch, die Stufen der Macht zu erklimmen, zu besiegen. All das charakterisiert unsere Konsumgesellschaft und wir alle sind der Versuchung ausgesetzt, uns mit ihr zu identifizieren durch diese oder jene dieser Sehnsüchte.
Wenn wir jedoch Christus folgen, dann merken wir, dass das Zeugnis für das Gottesreich uns eine Position am Rande einnehmen lässt in Bezug auf diese Sehnsüchte und auf diese Konsumgesellschaft, die uns Sicherheit geben. Fasten heißt, sich « an den Rand » zu begeben, um Zeugnis zu geben für eine andere Realität, eine andere Art, in der Welt tätig zu sein. Gott handelt in der Schwachheit, die durch das Fasten ihren Anfang nimmt. Das Fasten für Gott macht den Menschen barmherzig gegenüber sich selbst und gegenüber seinen Brüdern; es ändert seinen Blick auf die Schöpfung, indem es seine Sensibilität für den Rhythmus der Natur und des Lebens schärft. Das Fasten lehrt uns erneut jene Haltung, die Solschenizyn « Selbstbeschränkung » des Bedürfnisses nennt, die dem Menschen seine Freiheit zurückgibt und die ihn heraustreten lässt aus dem höllischen Teufelskreis des Konsums. Sich selbst zu beschränken um Christi Willen und aus Liebe zum anderen, das ist das wahre Fasten, das uns geistlich wachsen lässt und der Welt eine wirklich christliche Antwort anbietet.
Unsere gesamte geistliche Überlieferung lehrt uns das. Wir jedoch haben sie so sehr formalisiert und ritualisiert, dass wir die Herausforderungen und vor allem die Aktualität eines solchen Fastens nicht mehr sehen. Es ist an uns, es in dieser Fastenzeit mit Leben zu füllen, um durch unser Leben triumphieren zu lassen, was Christus ist: Friede, Liebe, Barmherzigkeit und Freude zur Verherrlichung des Vaters.
Euch allen ein gutes und heiliges Fasten.
+ Johannes, Bischof von Chariopolis,
Patriarchalvikar und Locum tenens